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Willms Buhse, Sören Stamer (HG.)

ENTERPRISE 2.0 –

DIE KUNST, LOSZULASSEN

RHOMBOS

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Willms Buhse, Sören Stamer

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Götz Hamann

Eine Definition von Enterprise 2.0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Andrew McAfee

Lehren aus der Vergangenheit – Computer-Supported Collaborative Work & Co . . . . . . . . . . . . . . . 37 Michael Koch

Enterprise 2.0 – Learning by Doing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 Sören Stamer

Kontrolle als Risiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 David Weinberger

Interaktive Wertschöpfung Herausforderungen für die Führung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Ralf Reichwald, Kathrin M. Möslein, Frank T. Piller

Mit Enterprise 2.0 gewinnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 Don Tapscott

Schönheit kommt von innen – Die neue Kommunikationskultur eines Enterprise 2.0 . . . . . . . . 149 Willms Buhse

Reality Check Enterprise 2.0: Wie weit sind deutsche Unternehmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Nicole Dufft

SAP: Der Aufbau von Communities im Unternehmen . . . . . . . . . 181 Craig Cmehil

Enterprise 2.0 bei Vodafone . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Stefan Böcking

Nokia: Enterprise 2.0 und Mobility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Stephen Johnston

Mollys geheimes Tagebuch oder Bekenntnisse eines Anfängers über soziale Software . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Suw Charman-Anderson

Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Willms Buhse, Sören Stamer

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Die Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

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Lehren aus der Vergangenheit – Computer-Supported Collaborative Work & Co.

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Einleitung Die Literatur über Social Software und Enterprise 2.0 erweckt in mancher Hinsicht den Eindruck, dass es sich dabei um eine relativ neue Entwicklung handelt. Nachdem die als Grundlage von Social Software zitierten Entwicklungen zum Web 2.0 weniger als fünf Jahre zurückliegen, können Social Software und damit Enterprise 2.0 auch maximal ein paar wenige Jahre alt sein. Diese Annahme ist sowohl richtig als auch falsch. Während der Begriff „Social Software“ erst in den letzten Jahren populär geworden ist, reichen die Kernideen von Social Software und speziell von Enterprise 2.0, also die Unterstützung von Zusammenarbeit in Unternehmen, viel weiter zurück. Angefangen hat es mit Vannevar Bushs Ideen zur „Memex“ im Jahr 1945, in den 1970er bis 1990er Jahren folgten Groupware und rechnergestützte Gruppenarbeit (Computer-Supported Collaborative Work, CSCW). Christopher Allen dokumentiert diese Entwicklung sehr gut in einem Blogbeitrag von 2004 (Allen 2004).

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Da wir bei Enterprise 2.0 mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind, kann es nicht falsch sein, sich mit den Erkenntnissen der bisherigen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Unterstützung von Zusammenarbeit zwischen Personen in Organisationen zu beschäftigen. Speziell aus CSCW können einige Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden – zum Beispiel ein besserer Einblick in die Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten zwischen klassischer Groupware und Social Software im Unternehmen.

Der Anfang … Die Wurzeln von Computer-Supported Collaborative Work (CSCW) als Forschungsgebiet können bis in die frühen 1980er Jahre zurückverfolgt werden. Der Begriff CSCW wurde zuerst als Name für einen Workshop genutzt, der von Irene Greif und Paul Cashman organisiert worden ist. Der Workshop fand im Jahr 1984 in Endicot House, Massachusetts statt und führte Teilnehmer aus unterschiedlichen

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Forschungsdisziplinen zusammen, um Ideen und Arbeitsergebnisse über die Unterstützung der Zusammenarbeit mithilfe von Computern auszutauschen. Seit dieser Zusammenkunft wurden im CSCW-Bereich unterschiedliche Technologien und Werkzeuge entwickelt und getestet. Genauso wurden aber auch grundlegende Beiträge zum Verständnis der Kommunikation und Kooperation sowie zum Prozess der Einführung von Kommunikations- und Kooperationswerkzeugen geleistet. Ein Ergebnis der Arbeiten in CSCW ist beispielsweise die Charakterisierung der sozialen Interaktionen in Gruppen. In diesem Kontext werden in der einschlägigen Literatur meist die folgenden fünf Formen der sozialen Interaktion zwischen Individuen in Gruppen unterschieden: Koexistenz, Kommunikation, Koordination, Konsens und Kollaboration (siehe z.B. Koch / Gross 2006): Koexistenz ist die zentrale Voraussetzung für eine Zusammenarbeit, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden. Kommunikation erlaubt es, Absprachen zu treffen, Ideen auszutauschen und Informationen weiterzugeben. Koordination ist notwendig, wenn es zwischen den Aktivitäten verschiedener Personen Abhängigkeiten gibt (Malone / Crowston 1992). Unter Konsens versteht man das Treffen von Entscheidungen in Gruppen. Schließlich beschreibt Kollaboration den eigentlichen Akt der Zusammenarbeit: die gemeinsame Manipulation geteilter Ressourcen. Während Kommunikation direkt (Die Empfänger der Nachricht sind zum Zeitpunkt des Absendens bekannt) oder indirekt (Die Empfänger der Nachricht stehen zum Zeitpunkt des Absendens noch nicht fest) erfolgen kann, ist eine effektive Kooperation nur möglich, wenn mehrere Personen explizit die Zugriffe auf gemeinsame Artefakte koordinieren und sie sich auch ihrer Koexistenz bewusst sind. Mit dem „People/Artifact Framework“ hat die CSCW-Community beispielsweise ein Modell entwickelt, um die verschiedenen Arten der Kommunikation in Gruppen zu beschreiben. Das Modell widmet sich der funktionalen Beziehung zwischen den Gruppenmitgliedern und den Werkzeugen zur Unterstützung der Zusammenarbeit und stellt diese Beziehungen auf eine Art und Weise dar, die es System-

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designern erlaubt, dem Informationsfluss innerhalb des Systems zu folgen (Dix et al. 1993, S. 465). Abbildung 1 zeigt den Kern des Frameworks. Die gerichteten und bidirektionalen Pfeile zeigen Kommunikationskanäle zwischen den Personen oder zwischen Personen und Arbeitsartefakten.

Abbildung 1: People/Artifact Framework

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Computersysteme für die Unterstützung der Zusammenarbeit werden oft als Groupware bezeichnet. Im Beitrag „Groupware: Software for Computer-Supported Cooperative Work“ weisen Marca und Bock (1992, S. 60) darauf hin, dass die Entwicklung von Groupware nicht ein weiterer evolutionärer Schritt in der Geschichte der Informatik war, sondern „a conceptual shift; a shift in our understanding. The traditional computing paradigm sees the computer as a tool for manipulating and exchanging data. The Groupware paradigm, on the other hand, views the computer as a shared space in which people collaborate; a clear shift in the relationship between people and information.“

Groupware wird also nicht durch einzelne isolierte Anwendungen charakterisiert, die sich durch kollaborative Aspekte auszeichnen. Der Computer sollte nicht als Mittel zur Informationsverarbeitung gesehen werden, sondern als Medium zur Kommunikation und Kooperation. Diese wichtigen Aspekte von Computern wurden bereits vor Jahrzehnten von Visionären wie Vannevar Bush, Douglas Engel-

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bart und Joseph Carl Robnett Licklider vorausgesagt. Die ersten Zeichen dieses Umdenkens tauchten 1945 in Bushs klassischem Beitrag „As We May Think“ auf. Hier beschreibt Bush ein System namens „Memex“, das die Speicherung großer Datenmengen erlaubt. Er schlägt eine Organisationsstruktur mit assoziativem Speicher und Pfaden durch die Daten vor, um eine Navigation durch die Datenmengen gewährleisten zu können (Bush 1945). Obwohl Bush vorausgesagt hat, dass Mikrofilme das vorherrschende Medium zur Datenspeicherung werden – und dies offensichtlich nicht eingetreten ist –, hat er das Problem mit Systemen, die mehr Information bereitstellen, als Menschen effizient organisieren können, korrekt vorhergesagt. Mit seinem Konzept großer, gemeinsam genutzter und strukturierter Informationsspeicher wie das heutige World Wide Web hat Bush viele Forscher wie Douglas Engelbart vom Stanford Research Institut inspiriert, der mit seinem Team die Ideen von Bush aufgegriffen und mit neuer Technik weiterentwickelt hat. Im Rahmen ihrer Idee zur Erweiterung des menschlichen Verstandes schlugen Engelbart und English (1968) vor, dass sich Computer und Menschen zusammen weiterentwickeln sollten. Die Autoren sahen Computer und Software als Werkzeuge an, die menschliche Möglichkeiten erweitern, anstelle sie zu ersetzen. Engelbart und sein Team definierten dabei vier grundlegende Arten der Erweiterung: Gegenstände – also physische Objekte, die für die menschliche Annehmlichkeit entworfen werden –, die Manipulation von Dingen und Materialien wie auch die Manipulation von Symbolen, Sprache, Methodologie und Training (Bornschein-Grass 1995, S. 51). Auf der Fall Joint Computer Conference der International Federation of Information Processing (IFIP) 1968 in San Francisco demonstrierte Engelbart den Prototyp einer kollaborativen Anwendung. Wegen der weitreichenden Wirkung und den vielen innovativen Konzepten, die dort demonstriert wurden, wird diese Demonstration häufig als „The Mother of All Demos“ bezeichnet. Obwohl Engelbart und sein Team das System von Grund auf programmieren musste – zu dieser Zeit waren keine der heute üblichen Entwicklungswerkzeuge, Anwendungsframeworks und Toolkits verfügbar –, beinhaltet das System bereits viele der heute als wichtig angesehenen Prinzipien wie

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die Trennung von Anwendung und Benutzungsschnittstelle, Hypertextkonzepte oder entfernte Prozeduraufrufe (Engelbart / English 1968). Die besondere Aufmerksamkeit Engelbarts galt der Zusammenarbeit von Menschen. Heute würde man einige seiner Arbeiten als Studien zu Human Factors in Computersystemen bezeichnen und dem Bereich Mensch-Computer-Interaktion (HCI) zuordnen. Seine Studien führten ihn u.a. dazu, seinen Prototypen mit neuen Möglichkeiten wie Fenstern, Icons, der Kombination von Text und Graphik, Pop-up-Menüs, und mausartigen Eingabegeräten auszustatten (Engelbart 1963; Engelbart / English 1968). Zur selben Zeit kamen die Ideen von Zusammenarbeit und Wissensaustausch in virtuellen Communities auf. So schrieb Joseph Carl Robnett Licklider, der auch die Entwicklung des Internets maßgeblich beeinflusst hat, bereits im Jahr 1968: „Life will be happier for the on-line individual because the people with whom one interacts most strongly will be selected more by commonality of interests and goals than by accidents of proximity“ (Licklider / Taylor 1968).

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Die Entwicklung der 1980er Jahre zeigt, dass durch die steigende Verfügbarkeit vernetzter Personalcomputer und Workstations und die dadurch entstehenden Möglichkeiten zur rechnergestützten Kommunikation und Koordination die Arbeit an dafür passenden Konzepten immer wichtiger wurde. Auch Grudin (1991, S. 93) nennt diese Bedingungen, die die Forschung und Entwicklung in CSCW vorangetrieben haben: »

Computer sind für alle Mitglieder einer Gruppe bezahlbar geworden.

»

Die technische Infrastruktur wie Netzwerke und Netzwerksoftware ist verfügbar.

»

Die Benutzer sind inzwischen umfassend mit Hardware und Software vertraut.

Die Forscher im CSCW-Bereich konzentrierten sich zuerst auf kleine Gruppen. Während bei der Entwicklung von Systemen für die persönliche Benutzung soziale, politische und motivatorische Aspekte der Computernutzung weniger wichtig waren, erlangten sie bei Groupware eine zentrale Bedeutung.

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CSCW und das Arbeitssystem Bei der Unterstützung der Zusammenarbeit geht es in erster Linie nicht um die Bereitstellung von Technologien und Werkzeugen, sondern um die Gestaltung soziotechnischer Systeme. Der Begriff „soziotechnisches System” wurde in den 1950er Jahren von Trist und Bamforth (1951) am Tavistock Institut London im Zusammenhang mit einigen Studien über die Arbeitsorganisation in der britischen Kohleund Textilindustrie geprägt (siehe auch Emery/Trist 1960). In diesen Studien fanden die Forscher unterschiedliche Ergebnisse bei der Einführung identischer Technologien in unterschiedlichen Gruppen. Die zentrale Erkenntnis aus der Analyse der Beobachtungen war, dass das technische System und das soziale System gemeinsam optimiert werden müssen, um erfolgreich zu sein. Wenn eine technische Lösung ohne Berücksichtigung des sozialen Systems eingeführt wird, dann werden die Ergebnisse suboptimal sein. Während die ursprünglichen Arbeiten zu soziotechnischen Systemen klassische Arbeitsplatzstudien waren, wurde das Konzept später an die Nutzung von computerbasierten Informationssystemen zur Unterstützung sozialer Gruppen angepasst (Mumford 1987). Das technische System sind hier die (vernetzten) Rechner und die Software, das soziale System, die Gruppe der Nutzer mit der Organisation, in der sie arbeiten, und den Beziehungen zwischen den Gruppenmitgliedern. In der Arbeitspsychologie wird der Begriff „Arbeitssystem“ für ein soziotechnisches System genutzt, das klar identifizierbare und trennbare Subsysteme in einer Organisation oder im Unternehmen repräsentiert. Gemäß den Modellen aus der Arbeitspsychologie setzen sich Arbeitssysteme aus folgenden Teilen zusammen (Sydow 1985): »

Personen mit Qualifikationen, Interessen und Bedürfnissen

»

Technologie (Maschinen, Computersysteme, Arbeitsressourcen)

»

Organisation, Struktur (Arbeitsprozesse, Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen)

»

primäres Ziel des Arbeitssystems.

Das primäre Ziel des Arbeitssystems ist dabei von hoher Bedeutung für das System, da es eine Quelle für die Motivation bereitstellt und das System zusammenhält. Die CSCW-Forschung hat diese Er-

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kenntnisse für die Gestaltung von Systemen zur Unterstützung der Zusammenarbeit nutzbar gemacht. Die wichtigsten Einsichten aus der Diskussion soziotechnischer Systeme für CSCW lauten: »

Technische Systeme sind untrennbar mit sozialen Systemen verbunden.

»

Soziale und technische Subsysteme sollten gemeinsam gestaltet (optimiert) werden, da sie sich gegenseitig beeinflussen.

»

Das Ziel des Gesamtsystems sollte dabei im Vordergrund stehen – es ist normalerweise die Hauptquelle für den Zusammenhalt des Systems.

Durch die Abhängigkeiten sind die soziotechnischen Systeme sehr komplex, was bei der Gestaltung berücksichtigt werden sollte, indem z.B. nicht angenommen wird, dass man im ersten Versuch eine passende Lösung findet.

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Diese Sichtweise zeigt vor allem die Abhängigkeit zwischen sozialen und technischen Systemen auf. Soziale Prozesse sind die Basis für die Entwicklung von Technologien und umgekehrt strukturieren die Technologien die Möglichkeiten für den sozialen Austausch (Mumford 2000). Die CSCW-Forschung beschäftigt sich deshalb mit dem Verstehen der sozialen Interaktion in Teams, Communities und Netzwerken sowie dem Entwurf, der Entwicklung und der Evalua­ tion von technischen Systemen, um die soziale Interaktion zu unterstützen. Es gibt viele Definitionen für den Begriff CSCW. Eine sehr allgemeine Definition wählen Bowers und Benford (1991, S. 5): „In its most general form, CSCW examines the possibilities and effects of technological support for humans involved in collaborative group communication and work processes.“ Andere Forscher betonen die Gruppenarbeit bzw. Gruppenaktivität in CSCW. Wilson (1991) definiert den Begriff beispielsweise wie folgt: „CSCW is a generic term which combines the understanding of the way people work in groups with the enabling technologies of computer networking, and associated hardware, software, services and techniques.“

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Groupware Technologie und Werkzeuge spielen bei der Gestaltung von soziotechnischen Systemen für die Unterstützung der Zusammenarbeit zwar nicht die alleinige Rolle, sind aber trotzdem wichtig. Für diese Technologie und Werkzeuge wird der Begriff „Groupware“ benutzt. Im Gegensatz zu traditionellen Computersystemen, die hauptsächlich für einzelne Benutzer entworfen worden sind, ist das Hauptziel von Groupware die Unterstützung einer Gruppe von Benutzern bei der Kommunikation, Zusammenarbeit und Koordination ihrer Aktivitäten. Ellis, Jacobson und Horvitz (1991, S. 40) beschreiben Groupware wie folgt: „Groupware are computer-based systems that support groups of people engaged in a common task (or goal) and that provide an interface to a shared environment.“ Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Klassen von Groupware nach den hauptsächlich unterstützen Interaktionsarten. Bei der Auswahl von Systemen zur Einordnung gehen die Positionen der Forscher allerdings auseinander, wo verteilte Systeme enden und wo Groupware beginnt, also was Groupware von anderen (verteilten) Systemen unterscheidet.

Abbildung 2: Kategorisierung von Groupwware nach der haupt­sächlich unterstützten Interaktionsart – Kommunikation, Koordination, Kooperation (3-K-Modell)

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Ein Ansatz zur Charakterisierung von Groupware ist die Annahme, dass die Haupteigenschaft von Groupware in dem expliziten Versuch besteht, die Isolation der Benutzer untereinander zu reduzieren. Charakteristisch für Groupware ist also die Schaffung eines Gewahrseins (Awareness) über die Kollegen und deren Aktivitäten. Dieser Gedanke wurde bereits von Lynch et al. (1990, S. 160) formuliert: „Groupware is distinguished from normal software by the basic assumption it makes: Groupware makes the user aware that he is part of a group, while most other software seeks to hide and protect users from each other […] Groupware […] is software that accentuates the multiple user environment, coordinating and orchestrating things so that users can ‘see’ each other, yet do not conflict with each other.“

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Die Anpassbarkeit ist eine zweite wichtige Eigenschaft, die für Groupware identifiziert worden ist. Nachdem jede Gruppe anders ist und Groupware nicht nur auf die Anforderungen der Gruppe als Ganzes, sondern auch auf die individuellen Anforderungen jedes einzelnen Gruppenmitglieds eingehen muss, um eine kritische Masse von Benutzern zu aktivieren, gibt es üblicherweise keine eine Lösung für alle denkbaren Probleme. Groupware muss sehr generisch – medienartig – sein, so dass sie Benutzer und Gruppen auf unterschiedliche Art und Weise nutzen können (E-Mail ist das beste Beispiel für diesen Medienaspekt von Groupware). Die Anpassung sollte idealerweise für den Endbenutzer selbst machbar sein. Arbeiten hierzu finden sich unter dem Namen End-User-Development (Lieberman et al. 2006). Neben dieser Sichtweise aus der CSCW-Forschung gibt es noch eine andere „Definition“ des Begriffs Groupware: In der Computerfachpresse und der Softwareindustrie wird Groupware oft gleichgesetzt mit Microsoft Outlook/Exchange oder ähnlicher Software, die auf dem MAPI-Protokoll basiert. Dieser Sicht folgend würde Groupware nur folgende Funktionalität abdecken: E-Mail, (Gruppen-)Kalender, (Gruppen-)Adressbuch und (Gruppen-) Aufgabenlisten. Dies deckt sich vielleicht mit dem Funktionsumfang früher kommerzieller Groupware, ist aber heute nicht mehr aktuell.

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Verschiedene Autoren haben CSCW-Projekte analysiert und wesentliche Anforderungen beim Entwurf kollaborativer Systeme im Vergleich zum Entwurf allgemeiner Softwaresysteme identifiziert. Siehe hierzu zum Beispiel die frühen Arbeiten von Ellis et al. (1991) oder Grudin (1988, 1989). Grudin nennt beispielsweise die folgenden Herausforderungen an den Entwurf kollaborativer Systeme: »

Es ist schwierig, die Anforderungen für ein CSCW-System zu erheben, da erstens die vielschichtigen Eigenschaften von Gruppen und Gesichtspunkten analysiert werden müssen, die für Softwarearchitekten nicht intuitiv sind; zweitens die Anforderungen normalerweise nicht einmal den zukünftigen Benutzern klar sind; drittens die Rahmenbedingungen sich während der Entwicklungszeit oder durch die Einführung des Systems ändern.

»

Für ein erfolgreiches CSCW-System müssen alle oder zumindest ein erheblicher Teil der Gruppenmitglieder das System aktiv nutzen (Netzwerkeffekte, kritische Masse). Der Aufwand sollte immer in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Hierfür ist eine positive Kosten-Nutzen-Abwägung für alle Benutzer erforderlich, die auch allen Benutzern kommuniziert werden muss.

Für die Einführung von CSCW-Systemen wurden einige Lösungs­ ansätze zu diesen Herausforderungen erarbeitet, die vor allem in den Bereichen der Anforderungsanalyse und des Change Managements, d.h. der Implementierung bzw. Einführung von CSCWSystemen, liegen.

Partizipative und evolutionäre Entwicklung in CSCW Zunächst wurde ein iteratives bzw. evolutionäres Entwicklungsvorgehen eingeführt, um die schwer fassbaren und sich ändernden Anforderungen in Griff zu bekommen. Hinter evolutionären Systementwicklungsmethoden steht dabei die Grundidee, den Prozess der Anforderungsanalyse, des Designs und der Implementierung mehrfach und nicht nur einmal zu durchlaufen. Zusätzlich zur Evolution des Systementwurfs ist die Einbeziehung der Benutzer und der anderen Interessengruppen in allen Phasen von zentraler Bedeutung – zunächst durch die Beobachtung der zukünftigen Benutzer und

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später durch deren aktive Mitarbeit. Die Einbeziehung der Benutzer ist sowohl für die richtige Erhebung der Anforderungen als auch für die Schaffung einer positiven Atmosphäre für das neue System – im Sinn eines erfolgreichen Change Managements – von Bedeutung. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, dass man in CSCW unter „Implementierung eines Systems“ immer den Entwurf eines kompletten soziotechnischen Systems versteht – inklusive der Gestaltung der organisatorischen und sozialen Aspekte wie der Einbindung des technischen Systems in die Arbeitsprozesse. Die Einbindung in die sozialen Systeme ist mittlerweile sogar die Hauptaufgabe von CSCW, da das technische System meist nicht mehr komplett neu implementiert werden muss, sondern aus Standardkomponenten zusammengestellt und konfiguriert werden kann.

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Die CSCW-Forschung stellt ein Bündel von Konzepten und Erfahrungen zur Verfügung, die für den Entwurf und die Implementierung derartiger Informationssysteme mit einer unterstützenden Funktion für die Zusammenarbeit in einer Organisation hilfreich sind. Für eine systematische Erhebung der sozialen und organisatorischen Anforderungen und für die Gewinnung eines Verständnisses der Arbeitsweise an sich wurden ethnographische Methoden an die Arbeitsplatzszenarien angepasst (siehe z.B. Blomberg et al. 1993; Jordan 1996). Der Fokus lag dabei auf der Beobachtung der Benutzer in ihrer normalen Arbeitsumgebung. Die Ethnographie kann damit Arbeitsweisen aufdecken, die nicht zutage getreten wären, wenn man die Benutzer direkt zu ihrer Arbeit befragt hätte. „As practiced by most ethnographers, developing an understanding of human behavior requires a period of filed work where the ethnographer becomes immersed in the activities of the people studied. Typically, field work involves some combination of observation, informal interviewing, and participation in the ongoing events of the community. Through extensive contact with the people studies, ethnographers develop a descriptive understanding of the observed behaviours“ (Blomberg et al. 1993, S. 124).

Für die aktive Beteiligung der Benutzer wurden verschiedene Methoden einer partizipativen Entwicklung (Participatory Design) ent-

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worfen (Schuler / Namioka 1993; Muller / Kuhn 1993). „The focus of participatory design (PD) is not only the improvement of the information system, but also the empowerment of workers so they can codetermine the development of the information system and of their workplace“ (Clement / Van den Besselaar 1993, S. 93). Partizipative Entwicklung ist als Methode komplementär zur Ethnographie, da die Benutzer und andere Interessengruppen von einer frühen Phase an und über die gesamte Dauer aktiv in die Entwicklung mit einbezogen werden können. Ein Beispiel für eine Methode der partizipativen Entwicklung ist der soziotechnische Walkthrough (Herrmann et al. 2004, 2007). Diese Methode umfasst verschiedene moderierte Workshops, in denen das gesamte soziotechnische System mit den Benutzern zunächst diskutiert und anschließend entwickelt wird. Die Beschreibung soziotechnischer Systeme basiert dabei auf einer speziellen Modellierungsmethode, die StandardSystem-Modellierungsmethoden wie UML um spezielle Konstrukte zur Darstellung der soziotechnischen Systeme erweitert (Loser / Herrmann 2001).

Das Aufkommen von Web 2.0, Social Software und Enterprise 2.0 Dieser Abschnitt beinhaltet keine ausführliche Beschreibung der Entwicklungen und Konzepte – diese finden Sie in anderen Kapiteln dieses Buchs –, sondern nur eine Zusammenfassung der aus meiner Sicht wichtigsten Eigenschaften. Die am meisten zitierte Beschreibung zum Web2.0 stammt von Tim O’Reilly (2005) in seinem Beitrag „What ist he Web 2.0“. O’Reilly fasst das Web 2.0 (im Vergleich zum Web 1.0) darin zusammen als »

eine Architektur der Beteiligung,

»

frei kombinierbare Datenquellen und

»

einfach konfigurierbare und kombinierbare Dienste anstelle von monolithischen Softwarepaketen.

Das wichtigste Konzept ist diesbezüglich die Beteiligung, die mit der freien Zusammenarbeit von möglichst vielen Benutzern erreicht wird, ohne Einschränkungen von Organisationen, Prozessen, Tech-

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nologien oder bestimmten Plattformen. Um das zu erreichen, werden häufig folgende zusätzlichen Grundkonzepte genannt: »

Die Benutzbarkeit der Dienste wird mit der Realisierung der webbasierten Dienste und der Interaktivität erreicht.

»

Die „Ich“-Zentriertheit stellt den Nutzen für den einzelnen Benutzer in den Mittelpunkt. Die intrinsische Motivation spielt hierbei eine zentrale Rolle. Werte werden erst durch den Nutzen für Teams oder Communities greifbar.

Social Software wird häufig als Untermenge des Web2.0 dargestellt – als Software oder Dienste, die menschliches Sozialverhalten unterstützen, erweitern oder daraus einen Mehrwert generieren (Coates 2005). Hier tauchen die Konzepte des Web2.0 wieder auf: Bei der Benutzung des Computers als Kommunikations- und Kooperationsmedium geht es primär um den einzelnen Benutzer und nicht so sehr um die Gruppe wie bei Groupware.

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Wie schon weiter vorne angesprochen, tauchte die Diskussion über die Verwendung von Computern als soziales Medium schon lange vor dem Aufkommen des Web 2.0 auf – zum Beispiel in den Arbeiten von Busch, Engelbart und Licklider. Auch der Begriff selbst ist nicht komplett neu. So hat Peter Hoschka bereits 1998, also lange vor dem Auftauchen des Begriff Social Software, ein Forschungsprogramm „The Social Web“ vorgeschlagen (Hoschka 1998). Clay Shirky, der „Erfinder“ des Begriffs Social Software, gibt an, dass er den Begriff mit folgenden Hintergedanken gewählt hat: „Looking for something that gathered together all uses of software that supported interacting groups, even if the interaction was offline.“ Er begründet auch, dass er bewusst nicht den Begriff „collaborative software“ gewählt hat: „Because that seems a sub-set of Groupware, leaving out other kinds of group processes such as […] play“. McAfee (2006) fasst die charakteristischen Eigenschaften von Social Software in dem Akronym SLATES (search, links, authoring, tags, extensibility, signals) zusammen. Koch und Richter (2008, S. 14) verwenden eine leicht angepasste Version dieser Eigenschaften: »

so einfach wie möglich selbst Beiträge veröffentlichen oder Inhalte editieren können („Authoring“);

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»

durch Tagging einfach strukturierende Metadaten beitragen können („Tags“);

»

durch Annotations- und Verlinkungsmöglichkeiten auf einfache Weise zu­sätzliche Inhalte und Metadaten bereitstellen können („Authoring“, „Links“);

»

durch Abonnierungsmöglichkeiten einfach auf neue Inhalte aufmerksam gemacht werden können („Signals“);

»

Inhalte einfach auffindbar machen („Search“, „Tags“);

»

modularer, dienstorientierter Aufbau der Anwendungen („Extensions“).

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Neben diesen Kerneigenschaften können einige wichtige Anwendungsklassen identifiziert werden, die Social Software ausmachen, z.B. Wikis oder Blogs. Im Stil des 3-K-Modells für Groupware (Abbildung 2) haben wir die Anwendungsklassen für Social Software in einem Dreieck mit verschiedenen Anwendungskonzepten an den Ecken positioniert: Informationsmanagement, Identitäts- und Netzwerkmanagement sowie Kommunikation (siehe Abbildung 3).

Abbildung 3: Das Social-Software-Dreieck

Das Social-Software-Dreieck gibt einen Überblick über die Möglichkeiten der Nutzung von Social Software, um eine Zusammenarbeit in Unternehmen oder zwischen Unternehmen und ihren Partnern und Kunden zu unterstützen. Dieses Konzept ist von Andrew McAfee (2006) als Enterprise 2.0 bezeichnet worden.

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Enterprise 2.0 und CSCW Bei einem Vergleich von Social Software und Groupware können folgende Unterschiede identifiziert werden:

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»

Gruppenorientierte (in Groupware) vs. individuell orientierte Kommunikation (in Social Software) beschreibt den Unterschied zwischen Wir-Zentriertheit und Ich-Zentriertheit.

»

Top-down-Implementierung und erzwungene Beteiligung (in Groupware) steht im Gegensatz zu Bottom-up-Implementierung und freiwilliger Beteiligung (in Social Software).

»

Groupware sieht die Kontrolle durch Administratoren vor; Social Software setzt auf gemeinsam entwickelte Konventionen.

»

Es besteht eine kleine Anzahl von Benutzern über einen beschränkten Zeitraum (in Groupware) vs. einer großen Zahl von Benutzern, die keinen Projektbeschränkungen unterliegen (bei Social Software).

Allerdings zeigt sich bei einer näheren Analyse, dass die neuen Generationen von Groupware nicht mehr auf einzelne Projekte und eine kleine Anzahl von Benutzern beschränkt sind. Außerdem hat CSCW von Anfang an die Bedeutung von Freiräumen für Benutzer, die Fokussierung auf intrinsische Motivation und eine gemeinsame Entwicklung der Lösungen mit bzw. durch die Benutzer betont. Auf der anderen Seite müssen bei Social Software auch die Einschränkungen der Organisation im Unternehmen berücksichtigt werden. Der einzige verbleibende Unterschied ist deshalb, dass sich Social Software und Enterprise 2.0 auf die Individuen und eine Bottomup-Implementierung konzentrieren, während Groupware und frühe Wissensmanagementprojekte Teams und Communities in den Mittelpunkt stellen. Nachdem es also mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gibt, sollten sich die Erfahrungen aus der Beschäftigung mit Groupware und CSCW anwenden lassen, um die Herausforderungen zu adressieren, die sich aus den Hauptunterschieden zwischen Enterprise 2.0 und Social Software im Internet ergeben: der Verwurzelung der Social-Software-Werkzeuge in einem Unternehmen mit seinen inhärenten Organisationsstrukturen. Dies ist von Bedeutung, da es in

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Unternehmen immer eine Organisation geben wird und dort immer Plattformen sein werden, die berücksichtigt werden müssen, wenn man Social-Software-Werkzeuge einführt. Für den Umgang mit dieser Herausforderung sind folgende Vorschläge hilfreich: 1. Es ist notwendig, so nahe wie möglich an der optimalen IchZentriertheit und Bottom-up-Einführung von Social Software zu bleiben. 2. Ist diese Möglichkeit nicht gegeben, sollte man von CSCW lernen und die Einführung der Werkzeuge so partizipativ und leicht wie möglich gestalten. Zur ersten Empfehlung lässt sich feststellen: Häufig wird in der Diskussion zu Enterprise 2.0 die Frage angesprochen, ob es für die erfolgreiche Implementierung der Vorteile von Enterprise-2.0Werkzeugen notwendig ist, dass sich das Unternehmen selbst ändert. Enterprise 2.0 ist in diesem Zusammengang nicht nur eine Menge von neuartigen Werkzeugen, sondern eine „neue Art von Unternehmen“. Die Unternehmenskultur sollte sich in einer Form weiterentwickeln, dass möglichst wenig hinderliche Strukturen und Hierarchien übrig bleiben und den Mitarbeitern viele Freiräume zur Verfügung gestellt werden. Allerdings können nicht alle Strukturen im Unternehmen abgeschafft werden – sonst würde es sich ja nicht mehr um ein Unternehmen handeln. Um die Vorteile von Teams und Unternehmen zu realisieren müssen sich die Mitarbeiter untereinander koordinieren und sich an eine gemeinsame Art Dinge zu tun anpassen. Dem Optimum von Social Software kann man hier recht nahe kommen, indem man die Mitarbeiter in die Gestaltung des Arbeitsplatzes und die Definition von Strukturen möglichst eng mit einbezieht, d. h., indem man eine partizipative Entwicklung des kompletten soziotechnischen Systems mit Unterstützungstechnologie, aber auch mit organisatorischen und sozialen Aspekten vornimmt. Das bringt uns zur zweiten Empfehlung, die Änderung und Einführung von Systemen möglichst partizipativ und evolutionär bzw. iterativ zu gestalten. Wenn man ein Wiki in einem Team einführen will, dann sollten dazu von Anfang an alle Teammitglieder mit einbezo-

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gen werden. Idealerweise würde man mit einer Diskussion in einem der regulären Teamtreffen beginnen, um das Problem zu konkretisieren, das mit der Aktivität gelöst werden soll. Dies schließt die Identifikation der Prozesse und anderer betroffener Systeme mit ein. Manchmal kann in diesem Schritt schon eine einfache, nichttechnische Lösung gefunden werden – oder es wird festgestellt, dass das eigentliche Problem ein ganz anderes ist als angenommen. Wenn es noch einen Spielraum für eine technische Lösung gibt, dann sollte man die Zustimmung aller Teammitglieder zu folgenden Fragen bekommen: 1. Für welchen Bereich soll das Werkzeug genutzt werden und welche Prozesse müssen dafür geändert werden? 2. Welchen Beitrag muss jedes Teammitglied für eine Realisierung leisten, während der Implementierung, aber vor allem auch im eigentlichen Betrieb? 3. Welchen Nutzen kann jeder Beteiligte von der Lösung erwarten? Schließlich sollte die Lösung regelmäßig in den Teambesprechungen auf den Prüfstand gestellt und soweit notwendig angepasst oder wieder abgeschafft werden.

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Die Notwendigkeit, einige Bottom-up-Konzepte für die Einführung von Groupware aufzunehmen, kann auch durch den Status von Groupware in der typischen IT-Organisation der Unternehmen erklärt werden. Groupware liegt normalerweise zwischen individueller Produktivitätssoftware, bei der der Wert für den Einzelnen und die Motivation des Einzelnen von einem hohen Interesse ist, und großen Systemen (z.B. ERP-Lösungen), bei denen eine Unterstützung durch das Management von kritischer Bedeutung für den Erfolg ist. Groupware gleicht den großen Systemen darin, dass die Lösung an individuelle Bedürfnisse angepasst werden muss und es zu unterschiedlichen Gruppenreaktionen kommen kann. Auf der anderen Seite geben die niedrigen Kosten Groupware nur eine geringe Sichtbarkeit in großen Organisationen. Grudin und Palen (1995) haben diese Aspekte bei gemeinsamen Kalendersystemen untersucht und dabei teilweise klare Bottom-up-Muster während der Einführung identifiziert. Diese Diskussion offenbart eine weitere Herausforderung für die Umsetzung von CSCW oder Enterprise-2.0-Ideen: Motivation. So ist eine der wichtigsten Lehren aus CSCW, dass immer ein Ausgleich zwischen Aufwand und Nutzen angestrebt werden sollte, um eine

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hohe Akzeptanz sicherzustellen. Während idealerweise ein positiver Nutzen für alle Benutzer möglich ist, lässt sich dieses in der Praxis leider nicht immer erreichen. Mit einer hohen Motivation besteht die Möglichkeit, einen eventuellen Zusatzaufwand zu kompensieren. Die Grundlagenforschung über soziale Systeme liefert Erkenntnisse zu den Unterschieden zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation (Frey / Osterloh 2002). Extrinsische Motivation wird von exogenen Belohnungen, intrinsische Motivation von internen Faktoren wie Arbeitszufriedenheit und Identifikation mit gemeinsamen Werten gewonnen. Der „crowding-out-effect“ zeigt, dass eine Bezahlung der Benutzer für eine Zusammenarbeit oder eine zu enge Verknüpfung von Bezahlung mit konkreten Aktivitäten auf Social-Software-Plattformen kontraproduktiv sein kann, indem dadurch die natürliche intrinsische Motivation für eine Mitarbeit unwiederbringlich ersetzt wird (Frey / Osterloh 2002). Die Gestaltung von Maßnahmen zur Steigerung der Motivation sollte immer die intrinsische Motivation stärken, z.B. dadurch, dass den Mitarbeitern mehr Freiraum gegeben wird, oder dadurch, dass Mitarbeiter sichtbarer gemacht werden, indem sie mehr Wertschätzung erhalten.

Schlussfolgerungen Das Web stellt eine ideale Infrastruktur für die Unterstützung der Zusammenarbeit dar. Es hat inzwischen nicht nur alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen, sondern es stellt auch ubiquitäre und gleichzeitig hom*ogene Protokolle (HTTP), Formate (HTML usw.) und Software (Webbrowser) zur Verfügung, die den Zugriff auf Dienste zur Unterstützung der Zusammenarbeit für die meisten potenziellen Benutzer sehr leicht machen. Mit den immer größer werdenden verfügbaren Bandbreiten und der voranschreitenden Technologieentwicklung ist das Web inzwischen dafür geeignet, sowohl innerhalb als auch außerhalb von Unternehmen als Kooperationsmedium genutzt zu werden. In diesem Aufsatz habe ich Enterprise 2.0, die Nutzung von webbasierten Social-Software-Werkzeugen im Unternehmen in einen breiteren Kontext eingeordnet und ein Feld präsentiert, das viel mit Enterprise2.0 gemeinsam hat – Computer-Supported Collaborative

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Work (CSCW). Nachdem sich bei Enterprise2.0 im Gegensatz zur „reinen“ Social Software auch Top-down-Aspekte zeigen, können die langjährigen Erfahrungen aus CSCW helfen, Enterprise2.0 zum Erfolg zu verhelfen. Diese Erfahrungen sind hauptsächlich darin zu sehen, wie Gruppen und Organisationen funktionieren und wie man technische Systeme einführen kann, um die Arbeit in Gruppen und Organisationen zu unterstützen. CSCW für Enterprise 2.0 kann die theoretische Fundierung über das Wesen und die verschiedenen Arten der Zusammenarbeit sowie Erfahrungen mit dem Entwurf von Kooperationssystemen usw. liefern. Die Erfahrungen mit CSCW zeigen ebenfalls, dass die Unterstützung von Zusammenarbeit nie komplett mit einem Top-down-Konzept eingeführt werden kann. Die Einbeziehung der Benutzer, das Entwerfen der Systeme mit dem Nutzen jedes einzelnen Benutzers im Sinn und die Bereitstellung von Freiräumen für die Benutzer sind zentrale Erfolgsfaktoren für die Unterstützung der Zusammenarbeit.

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[PDF] Willms Buhse, Sören Stamer (HG.) - Free Download PDF (2024)

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